«Ganz ich selbst»: Warum authentisch sein im Beruf Grenzen hat.

«Ich möchte mich selbst sein, ich möchte authentisch sein und bleiben.» Dieses Anliegen höre ich in Coachings mit Kundinnen und Kunden häufig. Die Forderung nach Authentizität wird auch in jedem Führungsseminar thematisiert. Was steckt hinter diesem verbreiteten Bedürfnis? Und inwiefern macht es in einem professionellen Kontext überhaupt Sinn?

Erstens ist die Frage nach dem «Wer bin ich?» eine der anspruchsvollsten überhaupt, wenn man sie wirklich ernst meint. Die Suche nach einer Antwort führt unweigerlich in philosophische Betrachtungen. Oder die Antwort klingt dann mehr nach ‘Was bin ich’, nach Rollen, Positionen oder Aufgaben.

Meine Vermutung ist, dass hinter dem Wunsch nach authentisch-sein oft eine Bequemlichkeit steckt. ‘Ich will so sein wie ich bin’ heisst im Grunde genommen, ‘so sein wie mir im Moment eben zumute ist, wie es mir passt, ohne Rücksicht auf andere oder meine Umgebung’. Weil es für mich so am einfachsten ist. Damit verbunden ist implizit die Erwartung: Die anderen sollen mich so nehmen wie ich bin.

Schön und gut, was aber, wenn jeder und jede im Büro einfach nach Lust und Laune gerade mal so ist, wie er oder sie sich augenblicklich fühlt? Wie authentisch hätten Sie denn Ihren Chef oder Ihre Chefin gerne? Oder Ihre Mitarbeitenden? Das könnte beispielsweise heissen:

  • Sie sagen andern unverblümt ihre Meinung, egal was sie dabei auslösen.
  • Sie brechen im Meeting in Tränen oder Wut aus, weil sie zutiefst enttäuscht sind über einen Entscheid.
  • Sie brüllen andere an, wenn sie etwas aufregt und bei ihnen Stress auslöst.
  • Sie lassen ihren Sorgen über die Zukunft der Firma und ihren Ängsten lautstark freien Lauf.
  • Sie gehen früher nach Hause, weil jemand gerade etwas Unerfreuliches zu ihnen gesagt hat und sie nun schlechter Laune sind.
  • Oder sie machen am Pult ein Nickerchen, weil ihnen nach dem Mittagessen gerade danach ist.

Dies alles sind Beispiele für konsequentes ‘authentisch sein’!

Ich bin wie ich bin – oder gibt es bessere Alternativen?

Würden alle Ihrer Authentizität freien Lauf lassen, wäre die Wirkung vermutlich: Man geht einander innert kürzester Zeit auf Nerven, die Produktivität sinkt gegen Null. Also definitiv ein Eigengoal.

Viel sinnvoller scheinen mir die Fragestellungen:

  • Ist mein Verhalten – im jetzigen Kontext – sinnvoll? Für mich individuell? Für das, was wir gemeinsam erreichen wollen? Für unser Zusammenleben, sei dies privat oder beruflich?

Die Herausforderung ist wohl eher die Frage nach dem Ausmass des Sich-selbst-seins und dem Bewusstsein für den Kontext. Weder das eine Extrem  ‘Mehr Schein als Sein’ und weit weg von sich selbst, noch das andere Extrem des unreflektierten ‘Sich-selbst-sein’ eignet sich besonders gut.

Ich gestalte meine (Führungs-)Rolle meinem Spielfeld entsprechend

Ein Schauspieler mag auf der Bühne in eine Rolle schlüpfen, die von seiner Person weit entfernt ist – ein Schurke, ein Kapitän, eine Western-Heldin, eine Königin, was auch immer. In Organisationen reden wir ebenso von ‘Rollen’, von funktionalen Rollen und Führungsrollen. Nur sind diese Rollen auf eine längere Zeit ausgelegt und wir haben kein Script und keinen Regisseur, welche uns dabei anleiten. Vielmehr liegt es an uns selbst, unseren Part zu gestalten und im Rahmen von Erwartungen, eigenem Ermessen und mit der eigenen Persönlichkeit zu prägen. Die Kunst liegt demnach darin, sich ‘bewusst-zu-sein’, und zwar gleichzeitig überdie eigene Persönlichkeit, über die momentane Situation und das jeweilige Gegenüber.      

Folgende Selbst-Coaching Punkte könnten dabei nützlich sein:

  • Ich bin mir meiner Umgebung bewusst – im Geschäft, unter Bekannten oder Freunden, in der Öffentlichkeit
  • Ich bin mir meiner Wirkung und Ausstrahlung bewusst. Welche Botschaften sende ich nonverbal? Bitte denken Sie immer wieder daran, das Ihre Körpersprache und Ihr Tonfall gegenüber Ihrer inhaltlichen Aussage weit über 50 Prozent ausmachen!
  • Ich bin mir meiner Rolle und meiner Verantwortung in diesem spezifischen Kontext bewusst. Hierzu habe ich ein klares Rollenverständnis entwickelt, an welches ich mich situations- und personenbezogen halte. Dies macht den entscheidenden Unterschied für ein professionelles und erfolgreiches Auftreten und Handeln! Gleichzeitig schützen Sie sich damit vor allfälligen Angriffen.
  • Ich bin mir meines Inneren bewusst, meiner Gefühle und Regungen – nur so kann ich abwägen, welche davon ich nach aussen preisgebe und in welcher Art. Fehlt dieser Innenbezug, werde ich unweigerlich zum Spielball äusserer Einflüsse.
  • Ich bestimme mein Verhalten selbst und bin mir des Ausmasses meines Rollenspiels bewusst. Überspiele ich beispielsweise 10%? Das mag passend sein und als ein gutes Selbstvertrauen rüberkommen. Oder 50%? Das mag reine Selbstinszenierung sein und kann längerfristig zu einer Belastung  werden.
  • Selbstbild und Fremdbild: Sehr hilfreich ist es, wenn ich auch in diesem Thema einige ausgewählte Feedback Partner habe, die mich dabei unterstützen, mir klar zu werden über das, was ich meine auszustrahlen, und dem, was wirklich rüberkommt. Wir wissen alle, dass dies nicht immer eins zu eins übereinstimmt, letztlich aber die Wirkung beim andern entscheidend ist.

Wenn Sie diese Aspekte im Führungsalltag berücksichtigen, dann wirken Sie glaubwürdig. Wer Glaubwürdigkeit ausstrahlt, ist gleichzeitig vertrauenserweckend. Sie werden respektiert, weil Sie das darstellen, was man von Ihnen in der gegebenen Situation erwartet und gleichzeitig als Persönlichkeit spürbar sind. Viel weniger würden Sie wohl dafür respektiert, dass Sie ihr Innerstes freigiebig unbeachtet der Umstände nach aussen hin preisgeben.

Wenn Sie in einem Führungscoaching vertieft über diese Fragestellungen nachdenken möchten, freue ich mich auf Ihre unverbindliche Kontaktnahme.

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